Keine Angsträume für niemanden!

Justiz und Inneres

Ich gehe gerne joggen. Vor allen Dingen morgens. Im Sommer ist das super. Man wacht auf – es ist schon lange hell. Ich springe aus dem Bett in die Sportsachen und los geht es. Im Winter ist es weniger schön. Der Wecker klingelt. Draußen ist gefühlt noch Nacht. Wenn ich nach Hause komme, ist es wieder dunkel. Also muss es jetzt sein. Ich schleppe mich aus dem Bett, steige in die Laufschuhe. Ich setze die Kopfhörer auf, packe den Schlüssel in die Tasche. Verlasse das Haus auf die vielbefahrene Straße vor meiner Tür. Nach einer Weile biege ich ab und erreiche den Park. Im Sommer laufe ich hier gern. Jetzt, wo ich den noch dunklen Eingang des Parks sehe, habe ich ein mulmiges Gefühl. Ich entscheide mich, weiter auf der beleuchteten Straße zu laufen und drehe um.

Was ist los mit mir? Bin ich zu sehr Dorfkind, um in der Stadt zu leben? Hat mein mulmiges Gefühl einen Grund?

Es ist zweiteres. Viele von euch kennen das. Es gibt Orte, da ist man – vor allen Dingen bei Dunkelheit – nicht gern allein. Die leere Bushaltestelle im Dorf, die schlecht ausgeleuchtete Stelle im Park, oder der muffige Platz vor dem Bahnhof. In der Stadtplanung nennt man das „Angsträume“.

Angsträume. Das klingt ein bisschen wie Panikraum und erinnert an Jodie Foster. Angst wovor?

Es ist die Angst vor Übergriffen. Jede dritte Frau in Europa, in Deutschland jede vierte, erfährt in ihrem Leben ein- oder mehrmals sexuelle oder körperliche Gewalt. Der Großteil davon geschieht verdeckt. In der Familie, in der Partnerschaft. Ein anderer Teil in der Öffentlichkeit. Nur die wenigsten Fälle werden angezeigt.

Silvester in deutschen Großstädten. Ich selber war in Hamburg mit einer Gruppe Freundinnen und Freunden unterwegs. Es war voll in der Stadt, wir haben uns ausgelassen und sicher gefühlt. Bestimmt ging es den Menschen in Köln genauso. Doch als sie den Bahnhofsvorplatz überquerten wurde sie von mehreren Männern bedrängt und sexuell belästigt.

Die Ausmaße der sexuellen Übergriffe und die Öffentlichkeit, in der sie stattfanden waren noch nie so groß. Täter waren junge Männergruppen, deren Aussehen von den Betroffenen als „nordafrikanisch“ beschrieben wurde.

Bereits vor den Stellungnahmen der Polizei, quollen die sozialen Netzwerke über. Wie wild wurde über Ursachen und Täter spekuliert. Rechte Rattenfänger warnen nun von der „importierten Frauenfeindlichkeit“, die mit den Geflüchteten nach Deutschland geholt wurden. Sie fordern die „Lügenpresse“ und „die Politiker“ auf, diesen Skandal aufzudecken und der „Überfremdung“ ein Ende zu bereiten.

Moment mal. Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen – ein deutsches Novum? Nein, verdammt nochmal! Sexismus und sexuelle Übergriffe sind Realität für Frauen – weltweit!

„Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“, „Die Muslime unterdrücken unsere Frauen“ – immer wieder werden Schieflagen, die wir „linksversifften Gutmenschen“ bekämpfen, von Rechten instrumentalisiert, um Stimmung gegen Flüchtlinge und gegen „das Fremde“ zu machen. Die „fremde Kultur“ gegenüber der „eigenen“ abwerten? Damit eigene Verhältnisse verschleiern? Auch das hat System. Es nennt sich Rassismus.

Sich der Rhetorik von AFD, Pegida und co. zu ergeben, indem ein sozialdemokratischer Parteivorsitzender auf die Vorfälle mit dem Ruf nach schnelleren Abschiebungen reagiert, ist brandgefährlich. Da sollten wir es lieber mit Malu Dreyer, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz halten, die genau dieser Rhetorik in persona Julia Klöckner gegenüber steht: „Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit wie auch im Privaten, muss konsequent geahndet und bestraft werden“ – egal welchen Hintergrund die Täter_innen haben. Denn gerade jetzt ist es wichtig, Haltung zu zeigen und die Deutungshoheit im Kampf gegen Sexismus und Rassismus zu bewahren.

Delara Burkhardt
Stellv. Bundesvorsitzende der Jusos

 
 

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